Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am Mittwoch entschieden, dass ein Arbeitnehmer, der seine Überstunden bezahlen lassen will, deren Ableistung ebenso wie deren Anordnung oder Billigung durch den Arbeitgeber beweisen muss (Urt. v. 04.05.2022, Az. 5 AZR 359/21). Nach Auffassung des BAG habe sich auch nichts durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs geändert, wonach von den Mitgliedstaaten verlangt werde, Arbeitgeber auf ein "objektives, verlässliches und zugängliches System" zur Arbeitszeiterfassung zu verpflichten.

Im dem nun vom BAG zu entscheidenden Fall, ging es um einen Auslieferungsfahrer einer Einzelhandelsfirma in Niedersachsen, der auf die Bezahlung nicht genommener Pausen als Überstunden geklagt hatte. Seine Arbeitszeit erfasste der Kläger mittels technischer Zeitaufzeichnung. Dabei hat er nur den Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit, nicht jedoch die Pausenzeiten aufgezeichnet. Aus dieser Aufzeichnung hatte der Fahrer für einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren einen Überschuss von rund 350 Stunden errechnet, plus weitere Stunden für die Abholung des Fahrzeugs. Das Arbeitsgericht Emden gab in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH der Klage erstinstanzlich statt. Danach sei die in § 618 BGB normierte arbeitgeberseitige Fürsorge- und Schutzpflicht unionsrechtskonform auszulegen. Das Arbeitsgericht leitete daraus eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Messung, Aufzeichnung und Kontrolle der Arbeitszeiten der Arbeitnehmer ab. Tue ein Arbeitgeber dies nicht, gehe dies im Überstundenprozess zu seinen Lasten. Die Nichterfassung stelle dann eine Beweisvereitelung durch den Arbeitgeber dar und führe faktisch zu einer Beweislastumkehr zugunsten des Mitarbeiters, so das Emdener Gericht.

Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen als Berufungsinstanz (Urt. v. 6.5.2021, Az.: 5 Sa 1292/20) folgte dieser Auffassung jedoch nicht. Das Urteil des EuGH binde nämlich nur die Mitgliedstaaten, die eine Pflicht zur Schaffung entsprechender angepasster Vorschriften hätten. Zudem habe der EuGH zwar eine Kompetenz für Fragen des Arbeitsschutzrechts wie die Wahrung der Höchstarbeitszeit, aber eben nicht für Vergütungsfragen.

Das BAG schloss sich in seiner Entscheidung vom Mittwoch der Auffassung des LAG Niedersachsen an und wies die Revision des klagenden Auslieferungsfahrers zurück. Das Berufungsgericht habe richtig erkannt, dass vom Erfordernis der Darlegung der arbeitgeberseitigen Veranlassung und Zurechnung von Überstunden durch den Arbeitnehmer auch nicht vor dem Hintergrund der genannten Entscheidung des EuGH abzurücken sei. Diese sei zur Auslegung und Anwendung der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und von Art. 31 der EU-Grundrechte-Charta ergangen.

Nach der Rechtsprechung des EuGH beschränken sich diese Bestimmungen darauf, Aspekte der Arbeitszeitgestaltung zu regeln, um den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten. Sie finden indes grundsätzlich keine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer. Die unionsrechtlich begründete Pflicht zur Messung der täglichen Arbeitszeit habe deshalb keine Auswirkung auf die nach deutschem materiellen und Prozessrecht entwickelten Grundsätze über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess. Hiervon ausgehend hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen zutreffend angenommen, der Kläger habe nicht hinreichend konkret dargelegt, dass es erforderlich gewesen sei, ohne Pausenzeiten durchzuarbeiten, um die Auslieferungsfahrten zu erledigen. Die bloße pauschale Behauptung ohne nähere Beschreibung des Umfangs der Arbeiten genüge hierfür nicht.

Zur Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts geht es hier.